Predigt für den 18.04.2021 Misericordias Domini [1]
Predigttext: Johannes 10,11-16
11 Ich bin der gute Hirte.
Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören,
sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht
– und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater.
Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall;
auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören,
und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Predigt von Pfarrerin Snewit Aujezdsky
Ich will erzählen von 2 Prinzessinnen.
Die eine heißt Elsa und ist die Hauptfigur
in dem Disney-Film "Die Eiskönigin".
Sie trägt einen blonden Zopf und ein hellblau-weißes Kleid.
Die andere Prinzessin ist ihre Schwester Anna.
Sie hat so rote Haare wie ich, in zwei Zöpfe geflochten
und ein lila-pink-rotes Kleid.
Elsa und Anna sind 2 Prinzessinnen am Hof
in einem Königreich im hohen Norden.
Elsa besitzt eine besondere Gabe:
Sie kann Schnee und Eis entstehen lassen.
Beim Spielen mit ihrer Schwester
sorgt das für eine Menge Spaß.
Zum Beispiel,
wenn Elsa es im Treppenhaus plötzlich schneien lässt.
Aber dann passt Elsa nicht auf.
Und dieser Unfall kostet Anna fast das Leben.
Dieses Ereignis verändert das Leben von Elsa völlig.
Elsa hat nun ständig davor Angst,
dass etwas aus ihr herausbricht.
Sie lernt, ihre Zauberkraft unter Kontrolle zu halten.
Tag und Nacht trägt sie jetzt Handschuhe,
um nicht durch eine unvorsichtige Berührung irgendetwas
oder irgendwen zu Eis erstarren zu lassen.
Elsa zieht sich zurück, weil sie ahnt:
Sie muss nicht nur ihre Kräfte fürchten,
sie muss auch die Menschen fürchten,
wenn die erfahren: Sie ist anders als andere.
Ich kenne Menschen, die so ein Leben wie Elsa führen.
Die sich selbst Tag und Nacht kontrollieren,
die sich zurückziehen, verstecken und zurückhalten,
damit niemand merkt, dass sie anders sind.
Das kann ein Jugendlicher sein,
dem irgendwann klar wird,
dass er Jungs viel interessanter findet als Mädchen.
Oder eine junge Frau, die sich in Frauen verliebt.
Sie versuchen, ihre Blicke zu kontrollieren,
ihre Worte und Bewegungen – damit niemand etwas merkt.
Und es ist auch die Geschichte,
die mir Menschen aus unserer Gemeinde erzählen:
Früher haben sie sich in ihrer alten Heimat
in Bibelkreisen in Wohnzimmern heimlich getroffen,
um in der Bibel zu lesen,
und um über ihren Glauben zu sprechen.
Vielleicht lebten Sie auch ein Leben wie Elsa.
Vielleicht kennen Sie auch jemanden.
Vielleicht brennt ihr Herz für etwas oder für jemanden.
Aber Sie wollen diese Gefühle mit aller Macht zurückhalten
und keinem zeigen.
Es kostet eine Menge Kraft,
sich ständig zu verstellen und zu verstecken.
Der gute Hirte weiß das.
Er macht sich auf die Suche,
er will rausholen aus dem Versteck
er will Mut machen, sich zu zeigen.
Als Elsa 21 Jahre alt wir und Königin werden soll,
da läuft sie davon, weg in die Wildnis.
Dort streift sie sich endlich ihre Handschuhe ab,
und damit auch alle Ängste und alle Kontrolle,
so zu sein, wie andere sie haben wollen.
Und all ihre Festhalte-Energie strömt jetzt in ihre Kräfte,
und in einen großen Schneesturm.
Und dazu singt Elsa ein Lied,
den Titelsong des Films:
Lass jetzt los! Let it go!
Ich lass los, lass jetzt los!
Dieses Lied ist einer der erfolgreichsten Filmsongs geworden,
ja eine Art Hymne für Menschen,
die sich davon befreit haben, so zu sein,
wie andere sie haben wollen.
Menschen, die ihre alte Rolle abstreifen wie einen Mantel,
aus dem sie herausgewachsen sind,
die etwas sterben lassen,
damit sie neu geboren werden können
als der oder diejenige, die sie eigentlich sind.
Lass jetzt los. Mach dich frei.
Etwas von dieser Energie aus diesem Lied,
aus dieser Geschichte,
spüre ich in der Geschichte von Jesus, dem guten Hirten:
"Und ich habe noch andere Schafe,
die sind nicht aus diesem Stall;
auch sie muss ich herführen,
und sie werden meine Stimme hören,
und es wird eine Herde und ein Hirte werden."
Die Geschichte von Elsa, der Eiskönigin,
ist mit dem Lied noch nicht zu Ende erzählt.
Jetzt macht sich ihre Schwester Anna auf den Weg,
um Elsa zu suchen.
So, wie auch der Hirte sich aufmacht
und die anderen Schafe sucht.
Anna findet Elsa.
Aber, ohne es zu wollen, führt Anna damit auch Hans,
den Bösewicht, zu Elsa.
Jetzt wird es dramatisch.
Hans steht mit einem erhobenen Schwert vor Elsa.
Da wirft Anna sich dazwischen,
sie wird von Elsas Eiszauber getroffen und erfriert.
Aber Anna, die Schwester der Eiskönigin,
stirbt nicht einfach sinnlos.
So wie auch Jesus nicht einfach sinnlos stirbt.
Und Gott wäre nicht Gott,
wenn seine Geschichte mit Jesus und uns
am Karfreitag zu Ende gewesen wäre.
Als Elsa um ihre Schwester Anna weint,
erwacht sie wieder zum Leben, und beide erkennen:
Liebe ist stärker als Eis.
Für mich ist das eine richtig schöne Ostergeschichte für die Zeit nach Ostern.
In der heutigen biblischen Geschichte geht es nicht
um ein einziges verlorenes Schaf.
Jesus sagt: "Ich habe noch andere Schafe."
Und ich kann diese Geschichte so verstehen:
Ich glaube, dieser Hirte ist einer, der diese anderen Schafe,
der den Verlorenen, den Verirrten und Verwirrten,
den auf der Strecke gebliebenen, den anders Liebenden,
denen, die nicht einfach funktionieren,
und denen, die sich nicht einfügen wollen in die Herde,
denen, die straucheln und stolpern,
die weglaufen und Angst haben
und sich vielleicht verstecken
und die, die einsam zittern,
all denen gibt der gute Hirte einen besonderen Wert.
Er nennt sie die anderen Schafe,
Nicht die „schwarzen“ oder die „verlorenen“ Schafe.
Und er holt sie alle dazu, weil sie dazu gehören.
Und so zeigt der gute Hirte uns,
dass es bei ihm für alle
und zwar wirklich für alle ohne Ausnahme
einen Ort und ein Zuhause gibt.
Er macht sein Herz ganz weit auf
und zeigt uns, wie einfach das gehen kann.
Für ihn ist kein Schaf und kein Mensch verloren.
Das ist auch meine Hoffnung.
Liebe ist stärker als Eis.
Amen.